Lk 8,1-8 • Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?
Die Witwe im Gleichnis, die vor dem Richter beharrlich um Gerechtigkeit flehte, zeigt ein eindrucksvolles Bild der Kirche. Sie ist die Braut Christi, und Christus lebt, aber sie fühlt sich als Witwe, weil ihr Bräutigam gestorben ist und sie sein Gesicht nicht mehr sehen kann.
Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Die Witwe will ein Urteil, und sie will es jetzt, denn solange das Urteil auf sich warten lässt, wird sie von ihrem Widersacher weiter beschimpft.
„Marana Tah“, „Komm, Herr Jesus“. Das war der Ruf der ersten Christen, der Kirche, die sich als Witwe fühlte, gegeißelt und verfolgt von dem Bösen.
Was wäre, wenn wir uns diese heilige Melancholie zu eigen machen würden, wenn wir das Erbe, das uns diese Apostel und Märtyrer hinterlassen haben, annehmen und mit Tränen in den Augen zum Himmel aufblicken und rufen: „Marana Tah“?
Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden? Ich weiß es nicht… Ich frage mich, ob die Witwe aufgehört hat zu weinen. Ich möchte nicht daran denken, dass diese Frau am Ende mit ihrem Widersacher eine Vereinbarung über die Koexistenz getroffen hat: „Du störst mich weniger, und ich höre auf zu weinen.“ Allein der Gedanke an eine Kirche, die sich in dieser Welt „zu Hause“ fühlt, macht mir Angst. Denn wenn die Witwe nicht weint, welche Gerechtigkeit kann sie dann erwarten?
J. Fernando Rey Ballesteros
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(Übersetzung aus dem Spanischen)
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